Gemeinsame Pressemitteilung der Spitzenverbände der Wirtschaft im Südwesten zu den Gesetzesentwürfen zur Fachkräfteeinwanderung
Arbeitgeber, BWIHK, Handwerk und LVI: Parlamentarisches Verfahren zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz sollte die von der Wirtschaft begrüßten Gesetzesentwürfe an den richtigen Stellen justieren
Stuttgart, 14. Februar 2019 – Deutschland und insbesondere seine Unternehmen brauchen ein attraktives Zuwanderungsrecht, um im internationalen Wettbewerb um Fachkräfte bestehen zu können. Das betonen die Spitzenverbände der Wirtschaft im Südwesten zur anstehenden ersten Beratung der beiden Gesetzesentwürfe zur Fachkräfteeinwanderung und zur Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung morgen im Bundesrat.
Die Gesetze sollten rasch Zug um Zug an einigen Stellschrauben justiert werden, damit ein für alle Adressaten gutes Gesetz zum ersten Januar 2020 in Kraft treten kann:
„Wir brauchen auch Zuwanderung aus dem Ausland und auch aus Ländern außerhalb der EU, damit wir den Fachkräftebedarf in Zukunft decken können“, erklärt. Wolfgang Grenke, BWIHK-Präsident und Vizepräsident Eurochambres in Brüssel. Auch wenn sich die Konjunktur in den nächsten Jahren eintrüben sollte, bleibe es in vielen Bereichen langfristig bei einem Fachkräftemangel, ist sich Grenke sicher. Die Zahl der Geflüchteten, welche immer stärker im Ausbildungs- und Arbeitsmarkt Fuß fassen, reiche alleine nicht aus. „Vor allem wenn ich an die großen, schon begonnenen Aufgaben im Bereich Digitalisierung und KI denke, brauchen wir Regelungen und klare Anreize für Spezialisten rund um den Globus, die unsere Betriebe gerade aus dem Mittelstand auf diesem Weg zu begleiten und dabei selbst hier gute Perspektiven für sich und die Familie vorzufinden“. Insbesondere treffe das auf technische und IT-Berufe wie Informatik/KI, Produktionssteuerung, Mechatronik oder Elektrotechnik, aber auch Logistik oder Gastronomie zu. Der Fachkräftemonitor des BWIHK zeige eine stetig wachsende Fachkräftelücke über alle Qualifikationsniveaus hinweg. „Hier ist ein zeitgemäßes Fachkräfteeinwanderungsgesetz der erste große Schritt. Es ist eine echte Chance, dem eklatanten Mangel zu begegnen – ein Gesetz, welches wir jetzt brauchen“, so der BWIHK-Präsident. Auch wenn aus Sicht der IHK-Organisation noch Stellschrauben nachzujustieren sein würden, wie beispielsweise die an manchen Stellen recht restriktiven Regelungen u. a. bei der Ausbildungsduldung, der Frage wie die Feststellung der Gleichwertigkeit von Berufsabschlüssen gehandhabt werden soll oder die Erhöhung der Altersgrenze zur Suche eines Studien- oder Ausbildungsplatzes.
Handwerkspräsident Rainer Reichhold ergänzt: „Der Fokus ist beim Gesetz richtigerweise auf beruflich Qualifizierte gelegt worden. Insbesondere positiv empfinde ich aus Sicht unserer Handwerksunternehmen, dass es keine Vorrang- und Engpassprüfung mehr geben wird, denn dieser Umstand belastet unsere Betriebe bei der Stellenbesetzung aktuell noch merklich. Mich freut, dass der Vorschlag unserer Organisation aufgegriffen wurde, Vermittlungsabsprachen mit ausländischen Arbeitsverwaltungen zu treffen, um zielgerichtet die ausländischen Fachkräfte zu identifizieren, welche an einer beruflichen Tätigkeit im Handwerk interessiert sind. Das Gesetz darf nun in den anstehenden Beratungen nicht verwässert werden. Unsere Betriebe brauchen einen klaren Rahmen, auf dessen Basis sie rechtssicher ausländische Fachkräfte einstellen können. Gerade im Handwerksbereich gibt es zu einer arbeitsplatzbezogenen Zuwanderung keine Alternative, wollen wir dem Fachkräftemangel langfristig wirklich etwas entgegensetzen.“
Der Präsident der Arbeitgeber Baden-Württemberg, Dr. Rainer Dulger, erklärt zum Auftakt an diesem Freitag: „Die Entwürfe zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz und zum Gesetz über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung dürfen jetzt nicht im Bundestag und Bundesrat aufgeweicht werden. Die beiden Gesetzentwürfe sorgen in ihrer jetzigen Form für die richtigen Weichenstellungen für eine gesteuerte Zuwanderung zur langfristigen Deckung des Fachkräftebedarfs unserer Unternehmen. So wird insbesondere mit dem Wegfall der Beschränkung auf Engpassberufe und der Vorrangprüfung der Zugang für Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten zum deutschen Arbeitsmarkt deutlich erleichtert. Zentral ist für uns auch, dass es dabei bleibt, dass schon eine Teilanerkennung eines Berufsabschlusses zu einer Aufenthaltserlaubnis führen kann. Denn wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass uns mit Verabschiedung der Gesetze Heerscharen von Fachkräften mit Berufsabschlüssen analog der deutschen Ausbildungsverordnungen die Türen einrennen werden. Entscheidend werden zudem nicht nur die rechtlichen Anpassungen sein. Auch die uneinheitliche Rechtsanwendung und lange Wartezeiten bei den Botschaften und Ausländerbehörden sind zentrale Hemmnisse für die Zuwanderung von Fachkräften. Notwendig ist deshalb auch eine massive personelle Verstärkung in den Visastellen, insbesondere bei den Auslandsvertretungen und den Ausländerbehörden. Statt Bürokratie und Papierbergen brauchen wir zudem endlich eine einheitliche elektronische Akte der Zuwanderungsbehörden und eine Aufgabenbündelung in spezialisierten überregionalen Kompetenzzentren.“
LVI-Präsident Heinrich Baumann lässt keinen Zweifel daran, dass qualifizierte Zuwanderung „nicht nur für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen unerlässlich ist. Auch mit Blick auf die sozialen Sicherungssysteme ist es von zentraler Bedeutung, die drohende Fachkräftelücke durch arbeitsmarktrelevante Zuwanderung schließen zu können.“ Es sei dringend notwendig, zügig eine bundeseinheitliche Regelung zu realisieren und auch auf dem Verordnungswege keine zusätzlichen Hürden zuzulassen: „Wir sind ohnehin in mancher Hinsicht zu restriktiv. Natürlich ist die Anerkennung ausländischer Berufsbilder und Abschlüsse mit der einen oder anderen Schwierigkeit verbunden. Wir haben aber die Erfahrung gemacht, dass in einem gewissen Rahmen die notwendige Weiterqualifikation ‚on the job‘ die Unternehmen nicht überfordert, sondern vielmehr auch dann eine lohnenswerte Investition ist, wenn die Ausbildung nicht ganz hiesigen Vorgaben entspricht.“ Aus dem eigenen Unternehmen berichtet der LVI-Präsident darüber hinaus, dass man mitunter auch ganz pragmatisch auf Englisch kommuniziere. „Dabei muss allerdings klar sein, dass dies zeitlich begrenzt ist. Der Wille zur Integration ist unverzichtbar“, so Baumann.
Gemeinsam betonen die Spitzen der beteiligten Verbände abschließend, dass es mit der Verabschiedung des Gesetzes alleine nicht getan sein werde. Der Zuzug von Fachkräften lasse sich insbesondere dann wirklich steigern, wenn die Umsetzung begleitender Maßnahmen nachfolgend zur Inkraftsetzung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes mit Jahresbeginn 2020 erfolge. So bedürfe es neben der Bewerbung der neuen Möglichkeiten über Kanäle und Kontakte der hier gemeinsam auftretenden Organisationen (z. B. AHK-Netzwerk, Handwerk International, Bildungswerk International mit „Career in BW“) weiterer Informationsoffensiven aller beteiligten Akteure. Zudem bräuchten die Betriebe bei der Personalsuche im Ausland Unterstützung, z. B. bei internationalen Jobmessen. Insbesondere müssten über alle Bundesländer hinweg einheitliche, bürokratiearme wie effiziente Verfahren angestrebt werden, die vor allem lange Wartezeiten für Visa und bei der Anerkennung von Qualifikationen vermieden.
Einige Hintergründe zum Thema:
In Deutschland leben schon heute über 19 Millionen Menschen, die eine eigene oder über mindestens ein Elternteil mitgebrachte Migrationsgeschichte schreiben – das ist fast jeder vierte Einwohner. Die Zahlen belegen klar, dass Deutschland ein Einwanderungsland war und ist, welches allgemein von Zuwanderung direkt profitiert, mindestens aber über die Generationenrendite (Kinder und folgende Generationen Zugewanderter) enorm gewinnt. Um ein vielfaches höher liegt der zu erwartende Profit bei qualifizierter, gezielter Zuwanderung, z. B. in aktuellen Mangel- und generellen Zukunftsberufen.
Der IHK-Fachkräftemonitor listet aktuell eine Fachkräftelücke von 332.000 Personen im Land allein in diesem Jahr auf. Das spüren die Betriebe: Fast zwei Drittel nennen steigende Fachkräfteengpässe in der aktuellen BWIHK-Konjunkturumfrage als bedeutendes Risiko für die eigene Geschäftsentwicklung. Bis 2030 rechnet die IHK-Organisation mit einem Mangel von über 500.000 Fachkräften, davon rund 40.000 Akademiker und über 480.000 nicht-akademische Fachkräfte.
Dass diese Prognosen mehr als wahrscheinlich sind, untermauert beispielsweise eine am 12. Februar veröffentlichte Studie der Bertelsmann-Stiftung. Darin wird ein Bedarf von mindestens 260.000 zuwandernden Fach- und Potenzialkräften jährlich bis ins Jahr 2060 angeführt, um die Nachfrage der Wirtschaft decken zu können. Neben der angenommenen Zuwanderung von über 110.000 Menschen aus EU-Staaten müssten annähernd 150.000 Personen aus Nicht-EU-Ländern den Weg nach Deutschland finden, um diese Zielmarke erreichen zu können. Dabei sind die innerdeutschen Potenziale berücksichtigt, wie beispielsweise eine höhere weibliche Erwerbsbeteiligung.
Im Bereich der dualen Ausbildung macht die Integration einen Sprung nach vorne. Bei den IHK-Berufen zeigt die Bilanz des Ausbildungsjahres 2018, dass rund 1.500 Geflüchtete aus den neun Hauptfluchtländern (unter anderem Syrien, Afghanistan, Gambia, Irak) im vergangenen Jahr mit einer Lehre gestartet sind – das ist ein Zuwachs von 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 2017 waren es 1.155 Ausbildungsstarter aus diesen Ländern. In den Berufen des Handwerks sind über acht Prozent aller neuen Azubis bereits Geflüchtete, Tendenz steigend. Dies verdeutlicht, wie wichtig diese Zielgruppe bereits heute ist und wie bedeutend die Zielgruppe qualifizierter Zuwanderer für das baden-württembergische Handwerk in Zukunft sein kann, wenn das Gesetz verabschiedet ist. Die Betriebe engagieren sich hier sehr stark auch in Integrationsbelangen über die eigentliche Arbeit hinaus.
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