Am 6. Juli trafen sich Vertreter des LVI-Vorstands und -Beirats mit dem baden-württembergischen Minister der Justiz und für Europa, Guido Wolf MdL, um sich über Themen wie die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, den Brexit, den europäischen Green Deal und den mehrjährigen Finanzrahmen der EU auszutauschen.
Nach einer kurzen Begrüßung durch LVI-Präsident Heinrich Baumann umriss der baden-württembergische Minister der Justiz und für Europa, Guido Wolf MdL, die im Moment akuten europapolitischen Themen, wie die zähen und wenig erfolgversprechenden Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich zu deren Ausscheiden aus der EU, die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die europäischen Staaten und die Europapolitik sowie die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, die am 1. Juli für ein halbes Jahr begonnen hat und gemeinsam mit Portugal (1. Januar bis 30. Juni 2021) und Slowenien (1. Juli bis 31. Dezember 2021) eine Trio-Ratspräsidentschaft bildet.
Auch beschrieb der Europaminister die geplanten drei Phasen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. So werde sich die Ratspräsidentschaft in der ersten Phase mit dem mehrjährigen Finanzrahmen der EU befassen, dessen Streitpunkte insbesondere das Volumen, das Verhältnis zwischen Zuschüssen und Krediten, die Verteilungskriterien und der Rückzahlungszeitpunkt sein werden. Die zweite Phase der deutschen Ratspräsidentschaft werde von den Brexit-Verhandlungen und – gegebenenfalls, jedoch recht unwahrscheinlich – der Verabschiedung eines Abkommens zwischen der EU und Großbritannien geprägt sein. In der dritten Phase schließlich sollen Themen wie der Green Deal, die Beziehungen zwischen der EU und China, ein gemeinsames Asylsystem, die Digitalisierung und der Klimaschutz zur Sprache kommen, was jedoch auf Grund der Kürze der Zeit recht ambitioniert sei.
Die Gesprächsteilnehmer waren sich einig, dass die EU in der Frage des Ausscheidens Großbritanniens aus der EU die richtige „Marschroute“ verfolgt habe und auch weiterhin nicht zu nachgiebig sein dürfe. Man dürfe sich zwar nicht vorwerfen lassen, nicht Alles versucht zu haben, um ein für alle Seiten zufriedenstellendes Abkommen doch noch in letzter Sekunde erreicht zu haben. Andererseits dürfe auch im Hinblick auf zu befürchtende Nachahmungseffekte nicht der Anschein erweckt werden, Großbritannien könne sich zwar aus den Pflichten der EU lösen, jedoch die Vorteile des gemeinsamen Binnenmarktes weiterhin genießen. Möglicherweise sei es daher auch für beide Seiten, jedoch insbesondere für die britische Seite, die nach Einschätzung der Gesprächspartner die größeren Einbußen verzeichnen werde, „heilsam“, die Verbindungen wirklich einmal komplett zu „kappen“ und zu erfahren, wie es ist, wenn Großbritannien im Verhältnis zur EU auf die WTO-Regeln zurückfalle.
Im Hinblick auf den europäischen Green Deal betonten die LVI-Vertreter, dass die Industrieunternehmen ein besonderes Augenmerk auf die Regelungen des Green Deal haben und diesen insbesondere als ein weiteres Regulierungsregime ansehen. Nachhaltigkeit sowie Klima- und Umweltschutz seien auch aus Sicht der Industrie wichtige Ziele, die nicht vernachlässigt werden dürften. Allerdings dürften die wirtschaftliche und technische Machbarkeit nicht aus dem Blick geraten. Nicht zuletzt im Hinblick auf die ohnehin schon schwierige Gemengelage wegen der Corona-Pandemie seien die Regelungen des Green Deal eine große Herausforderung für die baden-württembergischen und deutschen Unternehmen.
Ebenfalls thematisierten die Gesprächspartner die (fragwürdige) „Regulierungswut“ der EU. Hier sei es wünschenswert, wenn die EU sich – auch im Hinblick auf die Möglichkeit, europäische Regularien der breiten Masse der Bevölkerung verständlich zu machen – streng an das Subsidiaritätsprinzip halten und auf die Themengebiete beschränken würde, die tatsächlich einer europaweiten Regulierung bedürfen. Die (europäische) Politik solle, so die Forderung der Industrievertreter, Ziele, Werte und einen Rahmen setzen, alles Weitere jedoch dem Markt und dessen ganz eigener immanenter Regulierung überlassen.
Schließlich gingen die LVI-Vertreter auf die jüngst vom BDI veröffentlichten Forderungen der Industrie „Europa aus der Krise führen“ an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ein. Die Kernaussagen der BDI-Forderungen an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft sind, in den Wiederaufbau Europas zu investieren, die Vertiefung des europäischen Binnenmarktes zum europäischen Wachstumsprogramm zu machen, die Industriestrategie umzusetzen und weiterzuentwickeln, mit Digitalisierung und Innovation gestärkt aus der Krise hervorzugehen, den Green Deal wachstumsfreundlich auszugestalten, die Wettbewerbsordnung zu stärken, die europäische Gesundheitswirtschaft und – systeme fit für die Zukunft zu machen, Europas Rolle in der Welt zu stärken sowie das künftige Verhältnis zum Vereinigten Königreich erfolgreich zu Ende zu verhandeln. Diese Forderungen seien auch eng abgestimmt mit den italienischen und französischen Spitzenverbänden CONFINDUSTRIA und MEDEF.
Eine Herangehensweise sei, – so die LVI-Vertreter -, die virulenten Transformationsthemen Digitalisierung, Mobilitäts- und Energiewende durch regionale Clusterbildungen zu „bespielen“. Ein Vorzeigebeispiel stelle in diesem Kontext die europäische Luft- und Raumfahrtindustrie dar, die sich in NEREUS (Network of European Regions Using Space Technologies) geclustert hat und so effizient die Belange der beteiligten Regionen vorantreibt. Der LVI bzw. das von ihm betreute Forum Luft- und Raumfahrt engagieren sich als Mitglied der Partnerregion Baden-Württemberg erfolgreich in NEREUS und sehen einen großen Mehrwert darin, diesen Ansatz auch auf andere Themenfelder und Sektoren auszuweiten.
Die Gesprächspartner vereinbarten, im engen Austausch zu bleiben und sich weiterhin gemeinsam für den jahrzehntelangen Garanten für Frieden, Wohlstand und Arbeitsplätze, wie es die EU in ganz hohem Maße ist, einzusetzen.