Volatile Wirtschaftslage beschäftigt die Industrie
Stuttgart, 3.12.2019 „Die baden-württembergische Industrie sieht sich gegenwärtig einer äußerst volatilen Nachfrage gegenüber, die unsere Unternehmen in mehrerer Hinsicht vor enorme Herausforderungen stellt.“ So fasste der Präsident des Landesverbandes der Baden-Württembergischen Industrie (LVI), Heinrich Baumann, anlässlich der Vorlage der jüngsten Ausgabe der LVI-Standpunkte am Dienstag in Stuttgart die Eindrücke aus einem aktuellen konjunkturellen Austausch im LVI-Vorstand zusammen, die sich auch in vielfältigen Kennzahlen widerspiegeln. Er führte aus, dass die volatile Nachfrage nicht nur die kurzfristige Planbarkeit in der Produktion verringere, sondern zudem die Vorausschau auf das kommende Jahr deutlich erschwere: „Nach einem durchwachsenen Jahr 2018 und sinkenden Auftrags- und Umsatzwerten 2019 sind die Einschätzungen zur Geschäftslage zuletzt positiver gewesen. Aber wir haben derzeit nie das Gefühl einer verlässlichen Tendenz“, so Baumann, der rückblickend zudem erläuterte, dass der gegenwärtige Abschwung nicht erst Ende 2018 begann, „sondern dass der Wendepunkt der Konjunkturkurve schon im ersten Quartal 2018 eintrat“.
Ein Grund hierfür sei das geringe Weltwirtschaftswachstum, das nicht zuletzt durch die bekannten Handelskonflikte verursacht wurde und infolge der entstehenden Investitionsunsicherheit die Investitionsgüterbranche massiv belaste. Weiterhin gelte es, dringend die Rahmenbedingungen zu optimieren und Reformen zügig anzugehen und umzusetzen: „Eine klare Strategie, einen attraktiven Standort für hochqualifizierte und hochmotivierte Arbeitskräfte zu gestalten, erkennen wir derzeit nicht“, nahm der LVI-Präsident alle Beteiligten in die Pflicht. Gerade im Licht der Transformationsprozesse hinsichtlich Digitalisierung, Automatisierung, Dekarbonisierung und Elektrifizierung wäre es essenziell, Hochqualifizierte und Fachkräfte zu gewinnen – auch über Zuwanderung –, um die Innovationskraft Deutschlands und speziell in Baden-Württemberg zu stärken.
Mit Blick auf die Industriestrategie von Wirtschaftsminister Altmaier sei es erforderlich, diese zügig in konkrete Politik zu verwandeln, um passende Rahmenbedingungen für die hiesige Industrie und deren weltweite Herausforderungen zu installieren. Gerade jetzt müsse die Bundesregierung Verantwortung für die wirtschaftliche Zukunft des Landes zu übernehmen. „Wenn Wachstumsprognosen fallen und Auftragseingänge in der Industrie abnehmen, dann muss der Staat alle Priorität darauf legen, Investitionen und Innovationen anzukurbeln“, zitierte Heinrich Baumann den BDI.
In diesem Kontext sei auch die steuerliche Forschungsförderung zu sehen, die nun endlich beschlossen wurde und realisiert werden soll. Wichtig sei nun, „dass die Förderung möglichst bürokratiearm ausgestaltet wird, damit sie in nennenswerten Größenordnungen bei den Unternehmen ankommt und dazu beiträgt, die Informationsdynamik zu steigern“, betonte der LVI-Präsident.
Insgesamt, so Baumann weiter, „leistet sich Deutschland eine steuerliche Belastung der Unternehmen, die weit über dem liegt, was viele andere Industrienationen ihrer Wirtschaft und Industrie abverlangen – eben jener Industrie, die nach der Finanz- und Wirtschaftskrise zum Ende der letzten Dekade einen ganz entscheidenden Anteil an der raschen Erholung und der folgenden beispiellosen Hochkonjunkturphase für sich reklamieren durfte.“ Umso wichtiger sei es, die Industrie auch heute wieder in eine Position zu versetzen, in der sie mit einer gewissen Bewegungsfreiheit agieren, investieren und innovieren kann.
Insgesamt dürfe man nicht vergessen, dass es derzeit nicht in erster Linie darum geht, Symptome einer Rezession zu bekämpfen, sondern vielmehr darum, Ursachen einer Wachstumsschwäche anzugehen: „Der Druck, unter dem die Indu-striebetriebe durch den scharfen internationalen Steuerwettbewerb stehen, ist enorm. Das Unternehmensteuerrecht, bei dem seit mehr als zehn Jahren Reformstillstand herrscht, muss dringend modernisiert werden“, konstatierte der LVI-Präsident. Die effektive steuerliche Gesamtbelastung von Unternehmen müsse auf das international niedrigere Niveau von maximal 25 Prozent gesenkt werden. Nur so bleibe Deutschland als Investitionsstandort attraktiv.
Abschließend ging Heinrich Baumann auf die Haushaltslage ein. Noch immer stellen sich die öffentlichen Haushalte sehr solide dar, noch immer übersteigen die Einnahmen regelmäßig die Erwartungen und bewegen sich trotz des gebremsten Wirtschaftswachstums auf höchstem Niveau. „Vor diesem Hintergrund gehen wir weiterhin von der Leitidee der Schwarzen Null aus – Länder und Bund sind gefordert, insbesondere ihre konsumtiven Ausgaben konsequent zu hinterfragen und effizient zu investieren, ehe man den vermeintlich leichteren Weg neuer Schulden einschlägt“, unterstrich Baumann. Die Finanzpolitik müsse gleichzeitig ihre vorhandenen Spielräume nutzen, um private und öffentliche Investitionen in Bildung, Klimaschutz und Infrastruktur zu verstärken.
Hinsichtlich des baden-württembergischen Doppelhaushalts, der in den nächsten Wochen beschlossen wird erneuerte der LVI-Präsident die Erwartung, dass angesichts der zusätzlichen Finanzspritze durch die sogenannten Diesel-Strafzahlungen sichergestellt werden müsse, „dass diese Zahlungen nicht im allgemeinen Haushalt aufgehen, sondern dass sie vielmehr in einem zweckgebundenen Sonderprogramm unmittelbare Investitionswirkung entfalten können.“
Nähere Informationen enthalten die LVI-Standpunkte 2/2019.